Botanische Bezeichnung
Blutwurz oder Aufrechtes Fingerkraut – Potentilla erecta (L.) Raeusch.
[Syn. Potentilla tormentilla (Crantz.) Neck.]
Familie
Rosengewächse (Rosaceae)
Wissenswertes zur Pflanze
Die Blutwurz bzw. das Aufrechte Fingerkraut ist mit 4 Varietäten sehr vielgestaltig und in ganz Europa und im nördlichen Asien verbreitet, im östlichen Nordamerika vermutlich eingewandert. Sie wächst als Rhizomstaude auf nassen und trockenen Wiesen, auf Heiden und in Wäldern. Als Rhizom (Wurzelstock) bezeichnet man einen unterirdischen Sprossteil, aus dem die Pflanze nach dem Winter neu austreibt und so ihren Bestand sichert. Aus dem Wurzelstock wachsen viele kleine Wurzeln tiefer ins Erdreich. Der Wurzelstock (das Rhizom) der Blutwurz ist knollig bis walzenförmig, außen dunkelbraun und läuft an den Schnittflächen schnell rötlich an. In getrocknetem Zustand ist der Wurzelstock rotbraun, was der Pflanze den Namen „Blutwurz“ eingebracht hat. Möglicherweise kommt der Name auch von seiner früheren volkstümlichen Verwendung zur Förderung der Blutgerinnung. Dafür machte man das in ihm enthaltene „Tormentillrot“ verantwortlich (= rotbraune Oxidationsprodukte der Catechingerbstoffe).
Der Gattungsname Potentilla leitet sich wahrscheinlich von lat. ‚potentia’ (= Macht) ab, ergänzt durch die Verkleinerungsform ‚-illa’. Gemeint ist damit die mehreren Arten zugeschriebene Heilkraft im Sinne von „kleines, heilkräftiges Kraut“. Allerdings ist diese Herleitung nicht gesichert. Das Artepitheton erecta (lat. ‚erectus’ = aufrecht) beschreibt den aufrechten Spross. Das synonyme Artepitheton tormentilla leitet sich vom lateinischen ‚tormentum’ (= Marter, Plage) ab, die Verkleinerung ist an den Gattungsnamen Potentilla angepasst.
Die Grundblätter der Blutwurz sind dreizählig, die einzelnen Fiederblättchen keilförmig, grob gezähnt mit vorstehendem Endzahn; die Stängelblätter tragen zusätzlich zwei fingerförmig eingeschnittene Nebenblätter und erscheinen so „fünfzählig“. Die Blüten stehen in einem wenigblütigen, lockeren Blütenstand. Sie bestehen jeweils aus 4 leuchtend gelben Blütenblättern, die über die Kelchblätter hinausragen; im Zentrum stehen - wie für die Rosengewächse charakteristisch - viele (14 bis 20) Staubblätter um die Fruchtblätter herum. Blütezeit ist Mai bis August.
Arzneilich verwendete Pflanzenteile (Droge)
Verwendet wird der von den Wurzeln befreite, getrocknete Wurzelstock (Tormentillwurzelstock - Tormentillae rhizoma).
Die Droge des Handels stammt aus osteuropäischen Ländern.
Inhaltsstoffe der Droge
Tormentillwurzelstock enthält Gerbstoffe (bis 22%, vorwiegend Catechingerbstoffe), Triterpene (Tormentosid) und Kaffeesäurederivate.
Qualitätsbeschreibungen
Die Qualität folgender Drogen bzw. Drogenzubereitungen ist im Europäischen Arzneibuch (Ph. Eur.) festgelegt:
- Tormentillwurzelstock (Tormentillae rhizoma)
- Tormentilltinktur (Tormentillae tinctura)
Medizinische Anwendung
Anerkannte medizinische Anwendung
Das HMPC hat Tormentillwurzelstock als traditionelles pflanzliches Arzneimittel eingestuft (siehe „Traditionelle Anwendung“).
ESCOP: Innerlich bei unspezifischen, akuten Durchfallerkrankungen und unterstützend bei akuter und chronischer Darmentzündung; äußerlich bei leichten Entzündungen im Mund- und Rachenraum; diese Anwendungsgebiete stützen sich auf Erkenntnisse der langjährigen Anwendung am Menschen.
Kommission E: Innerlich bei unspezifischen, akuten Durchfallerkrankungen, äußerlich bei leichten Entzündungen im Mund- und Rachenraum.
Traditionelle Anwendung
Tormentillwurzelstock wurde vom HMPC als traditionelles pflanzliches Arzneimittel (§ 39a AMG) eingestuft. Basierend auf langjähriger Erfahrung kann Tormentillwurzelstock innerlich zur Behandlung leichter Durchfälle eingesetzt werden; äußerlich bei leichten Entzündungen der Mundschleimhaut.
Arzneiliche Drogenzubereitungen in Fertigarzneimitteln
- geschnittener oder grob pulverisierter Tormentillwurzelstock zur Teebereitung
- Trockenextrakte in Dragees und Kapseln
- Tinktur in Tropfen und Mundspüllösungen
- alkoholische Extrakte in Tropfen und Mundspüllösungen
Dosierung
Fertigarzneimittel: siehe Packungsbeilage;
Teeaufguss: zwischen den Mahlzeiten 3- bis 4-mal täglich eine Tasse Tormentillwurzelstocktee trinken. Mittlere Tagesdosis 6 g Droge. Der Teeaufguss kann auch zur Mundspülung und zum Gurgeln verwendet werden.
Bereitung eines Teeaufgusses
2 bis 3 g fein geschnittener oder pulverisierter Tormentillwurzelstock wird mit ca. 150 mL kaltem Wasser angesetzt und anschließend kurz zum Sieden erhitzt, nach kurzem Ziehen wird abgeseiht. Da sich Gerbstoffe beim Erhitzen zersetzen können, was ihre Wirkung vermindert, ist auch ein Kaltwasserauszug (Ansatz in kaltem Wasser) empfehlenswert; man lässt den Ansatz dann aber länger ziehen.
Hinweise
Bei länger andauernden und sich wiederholenden Durchfällen sowie bei blutigem Stuhl muss unbedingt ärztlicher Rat eingeholt werden.
Zur Anwendung von Tormentillwurzelstock während der Schwangerschaft und Stillzeit liegen noch keine Erfahrungen vor; von einer Anwendung bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren wird wegen mangelnder Erkenntnisse abgeraten.
Nebenwirkungen
Gelegentlich allergische Reaktionen und leichte Beschwerden im Magen-Darm-Bereich
Wechselwirkungen
Bei innerlicher Anwendung von Tormentillwurzelstock kann die Absorption von gleichzeitig verabreichten Medikamenten verzögert sein; Tormentillwurzelstock sollte deshalb im Abstand von mindestens 1 Stunde vor oder nach der Einnahme von anderen Medikamenten eingenommen werden.
Literaturhinweise
Drogenmonographien
HMPC (2011, 2020), ESCOP (2013), Kommission E (1990)
Weiterführende Literatur
Wichtl: Teedrogen und Phytopharmaka
Schilcher: Leitfaden Phytotherapie
Van Wyk: Handbuch der Arzneipflanzen
Kommentar zum Europäischen Arzneibuch (Tormentillwurzelstock, Nr. 1478; Tormentilltinktur, Nr. 1895)